Lenk- und Arbeitszeit: Schlimme Zustände in Fernbussen

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Was in anderen Ländern längst Standard ist, nimmt auch in Deutschland stetig zu. Seit der Marktöffnung für Fernbusse im Jahr 2013 sind immer mehr Passagiere auf die Beförderungsmöglichkeit im Bus umgestiegen. Das liegt vor allem an den unschlagbar günstigen Preisen. Doch ist günstig immer gleich gut und sogar sicher? Nicht unbedingt, wie jüngste Kontrollen zeigen – sie haben erschreckende Verstöße gegen Lenk- und Arbeitszeit bei Fernbussen aufgedeckt.

Generelle Vorgaben für Lenk- und Arbeitszeit im Personenverkehr

Seit dem Jahr 2006 regelt die EG-Verordnung 561/2006 die Lenk- und Arbeitszeit für Berufskraftfahrer. Somit haben seit der Umsetzung im Jahr 2007 Bus- und LKW-Fahrer in ganz Europa einheitliche Vorgaben für die Ruhezeit und die Zeit, in der sie am Steuer sitzen. In Deutschland sorgt sich das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) um die Überwachung der Lenk- und Arbeitszeit.

Hier die wichtigsten gesetzlichen Vorgaben auf einen Blick:

  • Die tägliche Lenkzeit darf 9 Stunden nicht überschreiten, lediglich zwei Mal wöchentlich darf auf 10 Stunden aufgestockt werden
  • Nach spätestens 4,5 Stunden Fahrt muss eine Fahrtunterbrechung von 45 Minuten erfolgen, diese kann auch in 30 und 15 Minuten gesplittet werden
  • Die Wochenlenkzeit darf nicht 56 Stunden nicht übersteigen, die Fahrzeit einer Doppelwoche ist auf maximal 90 Stunden limitiert
  • Die regelmäßige tägliche Ruhezeit muss 11 Stunden betragen, kann jedoch mit etwas Freiraum aufgeteilt werden

Der Einbau eines digitalen Tachografens in Busse und LKW ist seit Mai 2006 verpflichtend. Die digitale Fahrerkarte, welche während der Fahrt in das Gerät eingesetzt wird, speichert nicht nur die Identität des Fahrers, sondern auch die Lenk- und Ruhezeiten für 28 Tage. Seit dem Jahr 2008 müssen bei einer Kontrolle die Lenk- und Ruhezeiten der vergangenen 28 Tage vorgelegt werden.

Die Einhaltung der Lenk- und Arbeitszeit ist vor allem für die Sicherheit der Fahrgäste und auch für die des Fahrers essentiell. Wer übermüdet und gestresst ist, begeht nachgewiesenermaßen schneller Fehler und reagiert langsamer. Nicht nur der Sekundenschlaf ist bei der Überschreitung der Lenk- und Arbeitszeit ein stetiges Risiko, sondern auch die allgemein schlechtere physische Verfassung. Dass gerade bei Fernbusfahrern die Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten werden, ist aufgrund der steigenden Passagierzahlen besonders bedenklich.

Fernbusse werden immer beliebter

Im Jahr 2013 wurde der Fernlinienbusverkehr liberalisiert. Bis dato war es in Deutschland nicht genehmigt, über längere Strecken eine fahrplangebundene Busverbindung zu errichten, wenn für die gleiche Strecke eine Bahnverbindung vorhanden war. Dieses sog. ‚Verbot der Doppelbedienung‘ wurde im zum 01.01.2013 aufgehoben, woraufhin eine Vielzahl an Fernbusunternehmen neue Busstrecken begründete.

Zahlen des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) belegen, dass Ende des Jahres 2015 in Deutschland 341 Fernbusverbindungen gezählt werden konnten. Dies ist seit der Marktöffnung für Fernbusse die bislang höchste Zahl.

Einer Einschätzung des Statistischen Bundesamts zufolge sind im Jahr 2015 rund 20 Millionen Passagiere mit Fernbussen gereist. Das ist ein Viertel mehr als noch im Vorjahr 2014. Jene Beliebtheit der Linienfernbusse resultiert einerseits aus den günstigen Fahrpreisen und andererseits aus den längeren Bahnstreiks aus dem Jahr 2015, die vielen Reisenden die Lust auf die Bahn genommen haben.

Durch die Fusionierung der Markführer Meinfernbus und Flixbus im Jahr 2015 ist ein noch größeres Busnetz mit abgestimmten Fahrplänen entstanden, das den Wettbewerb für kleinere Unternehmen verschärfte. Mit der zunehmenden Passagierzahl und dem wachsenden Angebot der Anbieter steigt der Druck auf die Busunternehmen im Gesamten.

Direkte Verbindungen zum kleinsten Preis, am besten drei mal täglich quer durch die Republik – der Konkurrenzkampf der Linienbusunternehmen wächst stetig. Dieser knallharte Wettbewerb fordert seine Tribute und das geht oft auf Lasten der Lenk- und Arbeitszeit der Fahrer und somit zu Lasten der Fahrgast-Sicherheit.

Lenk- und Arbeitszeit im Fernbusverkehr: Erschreckende Verstöße

Die neusten Zahlen des BAG zeigen, dass die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten in Fernbussen nicht immer an erster Stelle steht. In den Monaten Januar bis Juli des Jahres 2015 konnte in 26,9 Prozent der Kontrollen Beanstandungen festgestellt werden. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2014 hatten nur 14,7 Prozent der Fahrer gegen Lenk- bzw. Ruhezeiten verstoßen. Dieser Anstieg ist beachtlich und nicht unbedenklich. Bei insgesamt 254 bundesweiten Fernbus-Kontrollen im ersten Halbjahr 2015 konnten in 46 Fällen Verstöße gegen die Ruhezeiten verzeichnet werden.

Auch die jeweilige Polizei der 16 Bundesländer berichten von ähnlichen beunruhigenden Verstößen im Fernbus-Sektor. Im März dieses Jahres wurden an nur einem Tag bei 25 Fernbussen in Hannover insgesamt 89 Verstöße festgestellt. Insgesamt 30 Mal wurden dabei Lenk- und Arbeitszeit nicht eingehalten. Noch schockierender ist die Tatsache, dass in 57 Fällen überhaupt keine Fahrerkarte in den digitalen Tachografen eingelegt wurde bzw. keine Fahrtnachweise mitgeführt wurden.

Bei all diesen Fahrern konnte demnach gar nicht erst überprüft werden, ob die 10 Stunden maximale Fahrzeit überschritten wurden. Aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind weitere Fälle bekannt, die zu einem sofortigen Abbruch der Fahr führten.

Reaktionen aus Politik und Öffentlichkeit

Diese Zahlen erschüttern nicht nur die Bürger, sondern auch die politische Öffentlichkeit. Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen zum Thema Überschreitung der Lenk- und Arbeitszeit in der Fernbusbranche reagierte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU): Er machte deutlich, dass die neusten Kontrollen Anlass zur Sorge gäben, denn Lenk- und Ruhezeiten seien ein wichtiger Faktor der Verkehrssicherheit. Weiterhin kündigte Dobrindt an, die Fernbusunternehmen und insbesondere die Lenk-und Arbeitszeiten der Fahrer unter Beobachtung zu stellen und im Ernstfall mit regulatorischen Maßnahmen gegen zu steuern.

Auch die Gewerkschaft ver.di zeigte sich besorgt über die aktuellen Verstöße gegen die Ruhezeiten in der Fernbusbranche. Nicht nur aus Gründen der Sicherheit der Fahrgäste, sondern auch der Busfahrer selbst fordert die Gewerkschaft, die Schichtzeiten zu verkürzen und die Ruhezeiten zu verlängern. Ein Qualitätssiegel für Fernbusfahrten könne beispielsweise Aufschluss über die Einhaltung von Lenk- und Arbeitszeit sowie weiteren Sicherheitsstandards geben.

Fakt ist, dass die bundesweiten Kontrollen bislang schockierende Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten aufgedeckt haben. Ob dem jedoch mit einer zunehmenden Anzahl von Kontrollen entgegen gewirkt werden kann, bleibt abzuwarten.

Weiterführende Informationen

Folgende Stellen im Netz geben zusätzliche Infos zum Thema:

  1. www.ihk-berlin.de
  2. www.sueddeutsche.de
  3. www.faz.net
  4. www.tuev-sued.de
  5. www.handelsblatt.com
  6. www.destatis.de
  7. www.haz.de
  8. verkehr.verdi.de

Bildnachweis: © Fotolia – bluedesign

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